spot_img

Basler Beiträge zur Digitalisierung: Die Familie Bernoulli

Ada Lovelace (1815 - 1852) wird von Historikern als die erste Person der Welt angesehen, die programmiert hat. Einig sind sie sich darüber aber nicht. Tatsächlich hat die britische Mathematikerin um 1843 eine Rechenanleitung für die Analytical Engine verfasst; um die Bernoulli-Zahlen algorithmische zu berechnen. Diese sind benannt nach dem Basler Mathematiker Jacob Bernoulli und damit Ausgangspunkt für die 5. Folge der Serie über Basler Beiträge zur Digitalisierung. Von den vielen Bernoullis sind im Folgenden vier ausgewählt, die allein oder im Team wegweisende Entdeckungen gemacht haben. Vermutlich ist es bei den Bernoullis wie auch bei Ada Lovelace so gewesen, dass sich diverse Keime von wegweisenden Ideen weitgehend parallel dank regem Briefwechsel zwischen den Forschenden entwickelt haben. Später sind sie zeitverschoben im Namen einer der Leitpersonen veröffentlicht worden.

55’000 Teile, 19 Meter lang, 3 Meter hoch und ein Zahnrad pro Dezimalstelle: So stellte sich der englische Mathematiker Charles Babbage (1791-1871) die Analytical Engine vor, einem wichtigen Schritt in der Entwicklung zum heutigen Computer. Leider ist diese Maschine nie gebaut worden, aber die Spezialisten sind sich einig, dass sie funktioniert hätte. Obwohl der Speicher nur 1/100 der Grösse eines mit einem Smartphone aufgenommenen Fotos entsprochen hätte, versprachen sich mathematisch gebildeten Personen viele neuen Erkenntnisse durch strukturierte Rechenverfahren. In einer Zeit, wo nicht jeder eine Rechenmaschine oder gar Computer besessen hat, sind in gedruckter Form vorliegende mathematische Tafeln ein wichtiges Hilfsmittel gewesen. So konnten in den Natur- und Ingenieurwissenschaften schwierige Rechenoperationen, wie das Ziehen von Wurzeln oder das Bestimmen eines Logarithmus, effektiv durchgeführt werden. Ada Lovelace hat erkannt, dass das Potential der Analytical Engine enorm ist, unter anderem bei der Berechnung von praxistauglichen Tafeln. Ada hat präzise Anleitungen hinterlassen, z.B. für die Bernoulli-Zahlen, einer Erfindung des Basler Mathematikers Jacob Bernoulli. Auch eine Programmiersprache ist nach Ada benannt.

Bernoulli – Von Antwerpen nach Basel

Die Bernoullis sind seit 1622 Bürger von Basel. Die Ahnen lassen sich im heute belgischen Antwerpen nachweisen, wo Leon Bernoulli, ein Chirurg, um 1561 gestorben ist. Die meisten publizierten Stammbäume gehen bis zum Gewürzhändler Niclaus Bernoulli (1623-1708) zurück, der Mitglied des Grossen Raths und des Gerichts in Basel gewesen ist. Etwa 30 Einträge zu Nachkommen von Niclaus Bernoulli finden sich auf Wikipedia, rund die Hälfte sind auch dem Historischen Lexikon der Schweiz (https://hls-dhs-dss.ch/de/) einen Eintrag wert. Vier Bernoullis sollen im Folgenden vorgestellt werden, deren Beiträge bis in die heutige Zeit eine Rolle spielen.

Wegen mehrfacher Nutzung der Vornamen ist es nicht trivial, im Bernoulli-Stammbaum den Überblick zu behalten. Aus diesem Grund basieren die folgenden Schreibweisen der Namen auf dem Buch «Die Mathematiker Bernoulli.», welches Professor Peter Merian, Schweizer Geologe und Tagsatzungsgesandter, in der Schweighauser’schen Universitäts-Buchdruckerei Basel im Jahre 1860 herausgegeben hat.

1   Jacob Bernoulli (1654 – 1705) – Professor der Mathematik in Basel

Auf Jacob gehen die Bernoulli-Zahlen zurück, welche in verschiedenen mathematischen Reihen eine Rolle spielen. Unter einer Reihe versteht man die Abfolge von arithmetischen oder geometrischen Grössen. Damit können Funktionen elegant und nachrechenbar ausgedrückt werden. Die Bernoulli-Zahlen liefern für einige wichtigen Reihen passende Koeffizienten, also die wertbestimmenden konstanten Faktoren. Ada Lovelace hat erkannt, dass sie mit Überlegungen zu den Algorithmen die Bernoulli-Zahlen in Tabellenform berechnen kann und ihre Erkenntnisse 1843 publiziert. Jacob hat die Mathematiker-Linie der Bernoullis begründet, sieben weitere Familienmitglieder haben sich auf Meisterstufe mit demselben Fachthema befasst.

2   Johannes Bernoulli (1667-1748), Dr. der Medizin und Professor der Mathematik in Groningen (heute Niederlande) und Basel

Johannes, der Medizin studiert hat, ist von seinem älteren Bruder Jacob [1] in die Mathematik eingeführt worden. Bernoulli hat die Überlegungen vom deutschen Mathematiker Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) zur Infinitesimalrechnung als einer der ersten verstanden und angewendet. Er hat in heutigen Begriffen als Influencer gewirkt und Leibniz’ Wissen über seine Korrespondenz mit bedeutenden Personen in ganz Europa geteilt. Johann hat interdisziplinär gewirkt und auch bedeutende Funktionen im Umfeld der Geometrie entwickelt. Ihre Weiterentwicklungen werden für die rechenintensive Berechnung der Visualisierungen von vergangenen, aktuellen oder zukünftigen Realitäten auf heutigen Computersystemen verwendet. Nicht zufällig heisst einer der zwei Supercomputer im Norddeutscher Verbund für Hoch- und Höchstleistungsrechnen «Gottfried», in Erinnerung an Bernoullis Zeitgenosse Gottfried Wilhelm Leibniz.

3   Niclaus Bernoulli (1687-1759), Dr. iur., Professor der Mathematik in Padua, Professor der Logik und der Rechte in Basel

Jakob [1] und Johann [2] Bernoullis Neffe Niclaus, nicht zu verwechseln mit dem Gewürzhändler Niclaus, hat seine Dissertation zur Anwendung der Wahrscheinlichkeitsrechnung auf juristische Probleme verfasst, einer Fächerkombination, welche heute bei der künstlichen Intelligenz eine wichtige Rolle spielt. So müssten die Schwellenwerte, auf welchen computergenerierte Entscheide basieren, mit entsprechenden Verfahren festgelegt werden. Leider passiert das nicht immer seriös und der Schwellenwert, der z.B. die prozentuale Übereinstimmung zweier Gesichter bestimmt ist unpassend fixiert: So kann es passieren, dass die Gesichtserkennung des iPhones der berechtigen Person den Zugang verwehrt, andererseits aber Nichtberechtige als echt identifiziert werden.

4   Hans Bernoulli (1876-1959), Bauzeichner, Chefarchitekt, Titularprofessor ETH, Redaktor «Werk», Nationalrat

Hans ist ein Ur-Ur-Ur-Enkel von Jacob Bernoulli [1]. Er hat sich vom Bauzeichner zum Chefarchitekten und Titularprofessor an der Zürcher ETH hochgearbeitet. Als Freiwirtschafter, einer Gruppierung die in Opposition zur bundesrätlichen Wirtschaftspolitik gestanden ist, hat man ihm 1938 die Lehrbefugnis entzogen. Nichtsdestotrotz ist Hans Bernoulli einer der wenigen Architekten, welcher auf Grund seiner Bauten, eine eigene Tramhaltestelle besitzt: Die «Bernoulli-Häuser» bei der Hardturmstrasse 250 in Zürich. Und später ist er Nationalrat geworden.

Hans Bernoulli hat von 1927-1929 als Redaktor der Zeitschrift «Das Werk» gewirkt, lange bevor sie mit «Bauen+Wohnen» im Jahre 1980 fusioniert hat. 90 Jahre nach seiner Redaktionstätigkeit ist das «Werkmaterial», von der Redaktion ausgezeichnete Bauten, auf der interaktiven Datenbank werk-material.online effektiv zugänglich. Diese in Zusammenarbeit mit dem CRB, Schweizerische Zentralstelle für Baurationalisierung, gemachte digitale Umsetzung, ermöglicht eine interessante Übersicht, ein Spiegel, über bedeutende Werke der Schweizer Architekturszene.

Ich behaupte zum Schluss nicht, dass Architekt und Redaktor Hans Bernoulli in unmittelbarer Reihe zu werk-material.online steht. Auf Grund seiner Texte möchte ich ihn aber als Wegbereiter bezeichnen und er würde heute die Annehmlichkeiten dieses Tools sicher nutzen. So hat Hans in «Das Werk» vom September 1927 als «Der neue Redaktor» geschrieben: «Aber eine Bitte muss ich meiner Arbeit voranstellen, die Bitte um Mitarbeit der Zustimmung, der Kritik, der Anteilnahme.» Zudem wünschte er sich, dass diese Zeitschrift nicht zur einsamen Kanzel, zum Katheder wird, sondern «ein lauterer Spiegel, der das schöpferische Leben unseres Landes heiter und unverfälscht reflektiert.»

Einmal mehr zeigt sich, dass viele Errungenschaften, welche wir heute als digitalen Service online und dezentral benützen schon vor Jahrzenten ihre analogen Vorläufer hatten. Die vorgestellten vier Mitglieder der Basler Familie Bernoulli sind deren Wegbereiter.

Dr. Urs Wiederkehr (*1961) ist Dipl. Bau-Ing. ETHS/SIA und Leiter des Fachbereichs «Digitale Prozesse» der Geschäftsstelle des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins SIA.

Dr. Urs Wiederkehr (*1961) ist Dipl. Bau-Ing. ETHS/SIA und Leiter des Fachbereichs «Digitale Prozesse» der Geschäftsstelle des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins SIA.


werk-material.online – Gemeinsam Bauprojekte dokumentieren gegen Wissensverlust

Am 18.1.2024, 11-12 Uhr, wird in der Focus Arena an der Swissbau in der Messe Basel gezeigt, unter der Moderation des Autors, wie werk-material.online über die ganze Wertschöpfungskette angewendet werden kann: https://www.swissbau.ch/de/e/werk-material-online-gemeinsam-bauprojekte-dokumentieren-gegen-wissensverlust.37681

Link zur Anwendung https://werk-material

- Advertisement - spot_img
- Advertisement - spot_img
- Advertisement - spot_img

Letzte News...